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Archive for Dezember 2011

Geburtlich leben

Die Philosophin Hanna Arendt hat den Gedanken der Geburtlichkeit ins Zentrum ihres Denkens gestellt. „Der Mensch wurde geschaffen, damit ein Anfang sei. Dieser Anfang ist immer und überall da. Er ist garantiert durch die Geburt eines jedes Menschen. Mit ihrer Geburt treten ständig neue Menschen ins Leben und können durch ihr Handeln die Welt verändern. Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten: Uns ist ein Kind geboren.“ So Hanna Arendt – und die Anspielung auf die Weihnachtsgeschichte kann uns den Sinn der Weihnachtsgeschichte vor Augen führen. Wenn Hanna Arendt unser Leben vom Geborensein her denkt, dann ist sie im direkten Widerspruch zu ihrem Lehrer Martin Heidegger der die menschliche Existenz als ein „Sein zum Tode“ versteht.

Im 1. Johannesbrief lesen wir: „Wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar werden wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“ Wir dürfen uns entwickeln, aus Sackgassen wieder umkehren, neue Möglichkeiten entdecken, aufstehen, wenn wir umfallen, Fehler eingestehen, ja überhaupt mutig und zuversichtlich handeln und unseren Weg gehen, weil wir Gottes Kinder heissen und auf dem Weg sind, es immer mehr zu werden.

Weihnachtlich leben im Anblick des Kindes in der Krippe, das könnte heissen, dass wir uns immer wieder auf neue Anfänge einlassen. Solche neuen Anfänge sind möglich, wo Menschen einander verzeihen und einander nicht mehr auf das festlegen, was war, sondern ausprobieren, was sein könnte. Sie sind möglich, wenn wir einander als Kinder Gottes ansehen und versuchen, die Liebe, die Gott uns erwiesen hat, weiter zu geben, auch wenn uns dies nur unvollkommen gelingen mag. Solche neuen Anfänge sind möglich, wenn wir lernen uns mit den Augen Gottes zu sehen, als Menschen im Werden, als geliebte Kinder. Solche Anfänge sind möglich, wenn wir in jedem Ende nach dem neuen Anfang suchen und so kann uns letztlich auch der Tod zu einer Neugeburt werden. „Denn dann wird offenbar, was wir sind und wir werden ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen wie er ist.“ An Weihnachten aber ist er uns gleich geworden, damit wir der Liebe Gottes vertrauen und anfänglich leben – leben als Menschen mit Zukunft und Hoffnung, leben als Menschen, die zur Liebe und zum Frieden fähig sind, leben als Menschen, die durch ihr Handeln Neues schaffen und zärtlich und behutsam sein können.

Meine ganze Weihnachtspredigt ist hier zu lesen

Immanuel

An Heiligabend predige ich in diesem Jahr über die Weihnachtsgeschichte aus dem Matthäusevangelium. Der Evangelist Matthäus erinnert sich in seiner Weihnachtsgeschichte an die alten Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“

Eigentlich ist die Botschaft von Weihnachten ganz einfach: Gott nimmt unsere Schutzlosigkeit und Verletzlichkeit an. Und darum dürfen wir uns selbst annehmen, verletzlich und bedürftig wie wir sind. Gott findet keine Herberge in den Palästen unserer Grossartigkeit, aber er zieht ein in die Einfachheit unserer Herzen. Wer sein Herz öffnet, bei dem wird er Wohnung finden. Gott gibt jedem einzelnen Menschen eine unverletzliche und unverlierbare Würde. Auf diese Würde dürfen wir uns berufen und wir sollen sie achten bei allen Menschen und uns für die Würde jedes einzelnen einsetzen. Frieden kann werden, wenn wir uns von dieser Botschaft berühren lassen. Es braucht dann natürlich immer noch politische Klugheit im Grossen und alltägliches Bemühen und Arbeit im Kleinen, damit Frieden gelingen kann. Aber wo Menschen zulassen können, dass sie selbst bedürftig und verletzlich sind und dies auch anderen zugestehen, ja sich von ihrer Verletzlichkeit und Bedürftigkeit berühren lassen, da kann Frieden beginnen, da ist Gott mit uns und es kann Weihnachten werden.

Die ganze Predigt ist hier zu lesen.

 

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Gesegnete Weihnachten

 

Frohe Weihnachten und

 

ein gesegnetes neues Jahr 2012

 

 

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Schenken und sich beschenken lassen

Wer jenseits des ewigen Lamentos über den weihnachtlichen Konsumrausch Nachdenkenswertes zum Thema Gaben und Gegengaben sucht, dem sei der Leitartikel von Uwe Justus Wenzel ind der Weihnachtsausgabe der NZZ empfohlen (leider nicht online verfügbar). Er legt dabei auf vorzügliche Weise den christlichen Kern des Weihnachtsfestes frei.

„Die Geburt des Gottessohns, die die Christenheit alljährlich feiert, ist der – wenn auch für viele nurmehr sehr mittelbare – Anlass, um Geschenke zu machen. Und doch geht es, wenn eine laientheologische Mutmassung erlaubt ist, für Christenmenschen beim Weihnachtsfest im Grunde nicht so sehr um das selige Geben als vielmehr um das selige Nehmen, um das Annehmen eines Geschenkes, das ihnen Gott mit der Menschwerdung gemacht hat: das Geschenk des – erneuerten – Lebens. Nehmen sie es an – richtiger: geht ihnen auf, dass sie es angenommen haben -, dann machen sie damit dem, der es gegeben hat, ihrerseits ein Geschenk, das des Dankes und des Glaubens. Das ist eigentlich ganz einfach und ermangelt doch nicht der Subtilität.“

Jenseits aller dogmatischen Formeln bringt er das Geheimnis von Weihnachten auf den Punkt – das Geheimnis des geschenkten Lebens, dieses so verletzlichen, nackten und bedürftigen Lebens, das wir nur dankbar annehmen können.

Wenzel verweist auf das Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippe hier“ und meint dazu: „Christenmenschen sind im Lichte dieser Zeilen das gerade Gegenteil jener angeblich «edlen» – in Wahrheit grob undankbaren – Seelen, von denen Nietzsches Zarathustra stolz behauptet: «Sie wollen nichts umsonst haben, am wenigsten das Leben.» – Das Leben ist aber, christlich gedacht, genau das: umsonst, gratis, ein Geschenk des Himmels eben, das vom Umtausch freilich ausgeschlossen ist. Für seinen Empfang müssen seine Empfänger, für ihn können sie nichts tun.“ Und er schliesst: „Es spricht nichts dagegen, sondern alles dafür, den Dank für das Geschenk des Lebens auch durch das freigebige weihnachtliche Beschenken der Mitmenschen, nächster wie fernster, zu bezeigen.“

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Ja und Amen

Im Text aus dem 2. Kor 1,18-24, über den ich heute predige, geht es um Verlässlichkeit – um die Verlässlichkeit Gottes und um die Verlässlichkeit des Apostels Paulus. Der lässt nämlich die Gemeinde in Korinth auf einen versprochenen Besuch warten und nun muss er sich erklären, um die aufkeimenden Zweifel auszuräumen. Dieser Text ist für mich auch ein Lehrstück dafür, dass Verlässlichkeit nicht bedeutet, stets und um jeden Preis an seinen Plänen, seinen Urteilen und Ansichten festzuhalten, sondern achtsam und der Liebe auf der Spur zu bleiben und dann das zu tun, was die Situation erfordert.

Wenn wir an Weihnachten die Geburt des Kindes in der Krippe feiern, dann feiern wir das Ja Gottes zu seinen Verheissungen. Wir feiern das Ja Gottes zu uns Menschen, das uneingeschränkt gilt. Gott unterläuft unsere Gewohnheiten, alles in Schwarz und Weiss, Gut und Böse einzuteilen, zu dem einen Ja und dem anderen Nein zu sagen. Bei Gott steht an erster Stelle und uneingeschränkt das Ja, das Ja der Liebe zu seiner Schöpfung, das Ja der Liebe zu uns Menschen. Und wo Gott Nein sagt, da sagt er nicht Nein zum Menschen, sondern Nein zu einem bestimmten Tun, zu einer verfehlten Einstellung, zu einem Irrweg. Wo Gott Nein sagt, da ist dieses Nein von Liebe bestimmt und getragen von seinem Ja zu allen Menschen. Gott steht zu seinen Versprechen. Er ist treu gegenüber uns Menschen. Das ist die Grundbotschaft der Bibel. Diese Zusage klingt uns aus dem Munde des Engels entgegen, der uns zuruft: „Fürchtet euch nicht. Siehe ich verkündige euch grosse Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren.“

„Denn auf alle Gottesverheissungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.“- so heisst es in dem Text. Gottes Ja ist das erste Wort. Aber dieses Ja lädt uns ein zur Antwort. Im Vertrauen auf Jesus Christus sollen wir „Amen“ sagen. „So sei es“ heisst diese alte Gebetsformel übersetzt. Wir sollen nicht zu allem Ja und Amen sagen, sondern Amen zu dem Ja Gottes, das uns die Botschaft der Bibel verkündet, das uns in dem Kind in der Krippe begegnet. Dieses Amen sprechen wir, wenn wir an Gott festhalten – auch dann, wenn unser Weg durchs Dunkel führt, wenn die Zweifel kommen und die bedrängenden Fragen. Amen sagen wir, wenn wir warten können in Geduld, Raum schaffen und Raum gewähren, Zeit lassen für Versöhnung und Frieden. Und Amen sagen wir, wenn wir Ja sagen zu den Menschen, wenn wir versuchen, der Liebe Gottes zu allen Menschen zu entsprechen, indem wir nicht verurteilen, nicht abschreiben, nicht zerstören. Auch da, wo wir glauben, dass wir einem Menschen gegenüber Nein sagen müssen, sollten wir immer mit der Möglichkeit rechnen, dass wir im Irrtum sein könnten. Und vor allem darf dieses Nein immer nur der Position des anderen, seinem konkreten Verhalten gelten und niemals dem ganzen Menschen. Auch im Nein muss das Ja zum Menschen, das Ja der Liebe erhalten bleiben. Selbst da wo Menschen sich trennen, weil sie keinen gemeinsamen Weg mehr finden können, sollen sie sich darum bemühen, den anderen nicht als Menschen zu verurteilen oder gar zu verachten. So können wir Amen sagen zu dem Ja Gottes – in aller Vorläufigkeit und Zerbrechlichkeit, die uns Menschen in dieser Welt eigen ist.

Die vollständige Predigt ist hier zu lesen.