Archiv

Archive for the ‘Politisches’ Category

Gedenken

27. Januar 2012 3 Kommentare

Die Rede von Marcel Reich-Ranicki im Deutschen Bundestag zum Holocaustgedenktag ist ein eindrückliches Dokument. Da erzählt er einfach die Geschichte eines Tages im Jahr 1942, des 22. Juli. Es ist der Beginn der Deportation der Juden aus dem Warschauer Ghetto. Und indem er seine Geschichte einfach erzählt – ohne Gedenkpathos, ohne Apelle, ohne moralischen Zeigefinger – leistet er mehr für das Gedenken als viele kluge Abhandlungen.

Geschichte bleibt abstrakt, wenn sie uns nicht in den vielen Geschichten von Menschen erreicht, die diese Geschichte erlebt und erlitten haben und uns ihre Geschichte erzählen. Dafür gebührt Marcel Reich-Ranicki Dank, weil sich mit Geschichten wie dieser jegliche Schlussstrichdebatte erledigt.

Kategorien:Politisches Schlagwörter:

Friedensnobelpreis für drei beeindruckende Frauen

Drei Frauen haben in diesem Jahr den Friedensnobelpreis erhalten. Ihre Porträts waren heute in vielen Medien zu lesen, u.a. auch in der NZZ. Leymah Roberta Gbowee ist eine liberianische Sozialarbeiterin und Kirchenpräsidentin, die auch zu aussergewöhnlichen Massnahmen in ihrem Engagement für den Frieden griff. Ellen Johnson Sirleaf aus Liberia ist die erste Präsidentin auf dem afrikanischen Kontinent. Mutig und aussergewöhnlich ist auch die dritte Preisträgerin Tawakul Karman . Sie gehört der grössten jemenitischen Oppositionspartei, einer islamistischen Partei, an, tritt aber für eine säkulare Demokratie ein und legte schon 2004 den Nikab ab.

Kategorien:Freiheit, Politisches Schlagwörter: ,

Mystik der offenen Augen

3. September 2011 9 Kommentare

Diesen Titel des neuen Buches des katholischen Theologen Johann Baptist Metz finde ich wunderbar. Lesenswert ist auch eine Rezension von Jan-Heiner Tück zu diesem Buch in der Wochenendausgabe der NZZ. Daraus einige bedenkenswerte Aussagen:

„Gegen Formen neuer Religiosität, die eine Art Wellness der Seele anbieten, setzt Metz eine biblisch inspirierte Mystik der Gerechtigkeit. Mystik – das ist für ihn keine meditative Technik der geschlossenen Augen, sondern eine messianische Praxis der Nachfolge, die sich den Blick Jesu für die Armen und Leidenden zu eigen macht. Nicht um aufregende spirituelle Selbsterfahrungen geht es in dieser «Gottesleidenschaft in Mitleidenschaft», sondern um Solidarität mit den Mitmenschen. Den Liebhabern der Zenmeditation hält Metz die unbequeme Frage vor, wie sie es mit dem Einsatz für andere halten. Er mutmasst, dass fernöstliche Spiritualität das fromme Subjekt am Ende in einer subjekt- und geschichtsfernen Alleinheit aufgehen lässt, die für das Antlitz der andern keine Augen mehr hat. (…)

Für seine Mystik der offenen Augen knüpft Metz an die Psalmen, das Buch Hiob, die Klagelieder, aber auch den Verlassenheitsschrei Jesu am Kreuz an; er plädiert dafür, auch heute den Schmerz der Negativität stärker in die Gebetssprache zu integrieren. Der hohe Ton der offiziellen Liturgiesprache müsse durch mehr «Karsamstagssprache» aufgeraut werden, um Erfahrungen der Trauer, der Angst und der Schuld Raum zu geben. In der Tat können Artikulationen von Freude und Dank zur hohlen Phrase verkommen, wenn sie die Wirklichkeit von Leid und Schmerz ausblenden. Indem Metz den Blick auf die Leidenden und Übersehenen lenkt, schärft er das Bewusstsein für das, was fehlt. Sein Einspruch gegen das mitleidlose Vergessen speist sich ausser aus biografischen Erfahrungen aus dem Hunger nach Gerechtigkeit. Darin ist er im besten Sinne biblisch.“

Aus der Hoffnung entsteht Veränderung

23. April 2011 2 Kommentare

„Wir brauchen den Glauben an das Unwahrscheinliche, damit Veränderung noch möglich ist“  heisst es im Leitartikel von Carolin Emcke in der Osterausgabe der ZEIT. Sie schreibt: „In diesen Tagen erinnern jüdische und christliche Gläubige an zwei Erzählungen, die ihnen jeweils den Triumph des Unwahrscheinlichen über das Wahrscheinliche bedeuten. An Pessach feiern Juden den Auszug des jüdischen Volks aus Ägypten und damit die angekündigte Befreiung aus Sklaverei und Knechtschaft, an Ostern feiern Christen die Auferstehung Jesu Christi und damit die versprochene Vergebung ihrer Sünden. (…) Es sind Geschichten, an die Jahr für Jahr in Familien und Gemeinden erinnert wird, die dort nachgelebt werden, weil mit diesem Ritual auch der Glaube an die Hoffnung weitergereicht wird von Generation zu Generation, wie ein Laib Brot, von dem sich jeder ein Stück bricht, Hoffnung auf Befreiung oder auf Erlösung. So schreiben sie sich ein, die Geschichten, in das innere Repertoire, aus dem sich schöpfen lässt in finsteren Zeiten.“

Sie fragt, was all das mit unserer nachmetaphysischen Zeit zu tun hat und gibt die bedenkenswerte Antwort: „Weil diese Geschichten daran erinnern, dass wir, individuell oder kollektiv, immer nur mit einem utopischen Vorgriff leben können, dass wir auf einen Horizont hin ausgerichtet sein müssen, der das überschreitet, was ist. Es braucht den Glauben an das globale Wir, auch wenn es erst im Entstehen begriffen ist. Es braucht den Glauben an das Unglaubliche, das Trotzdem, das sich in einer trostlosen Gegenwart den Widerständen der herrschenden Ideologien widersetzt, es braucht die Hoffnung auf das, was der Philosoph Ernst Bloch das »Noch-Nicht« nennt – sonst ist Veränderung nicht möglich. Sonst lässt sich aber auch die Gegenwart auf Dauer kaum aushalten.“

Und weiter: „Das Undenkbare ist wieder denkbar geworden, die zynische Schwerkraft all derer in Politik und Medien, die Utopien nur nach ihrer Wahrscheinlichkeit beurteilen und verwerfen wollten, ist gebrochen. Denen, die ihre Chancen nicht mathematisch kalkulieren, die ihrem Denken keine Grenzen setzen, die ihren Glauben nicht an der Wahrscheinlichkeit ausrichten, ob in China oder Iran, in Syrien oder Japan, gebührt nicht nur Respekt, ihnen gebührt auch Dank. Und wir sollten ihre Geschichten erzählen an diesen Tagen zu Pessach und Ostern, an denen wir uns an die großen alten Erzählungen der Hoffnung erinnern.“

Begreifen werden wir nie, was damals an Ostern geschehen ist. Aber wir können staunen und uns berühren lassen von der verändernden Kraft der Hoffnungsbotschaft von Ostern. Denn in dieser Botschaft liegt eine ungeheure Kraft gegen den Zynismus des Unabänderlichen, eine Lebendigkeit, die schon in diesem Leben den Tod überwindet. Wer die Hoffnung verloren hat, der ist wie lebendig begraben, eingesperrt in der Grabeshöhle des Berechenbaren. Ja, die Ostergeschichte, all die Geschichten der Hoffnung sind wirklich wie ein Laib Brot, den wir weitergeben und von dem wir uns ein Stück abbrechen können – und der dadurch nicht weniger wird. Die Wahrheit von Ostern spiegelt sich in den Ereignissen in Tunesien und Ägypten und an all den anderen Orten, wo Menschen sich nicht mit dem Bestehenden abfinden und aufstehen für eine gerechtere und menschlichere Zukunft. In diesem Licht können wir in diesem Jahr die Osterbotschaft hören. Sie kann bei uns den Mut und die Kraft erwecken, statt der Verteidigung des Bestehenden den Einsatz für eine bessere Welt für alle zu wagen.

Demokratischer Aufbruch oder islamistische Gefahr?

Seit Tagen blicken viele wie gebannt auf die Proteste in Ägypten. Bewunderung für den Mut und den Freiheitsdrang der Menschen, Empörung über das starre Festhalten Mubaraks an der Macht, über das Wüten bezahlter Schlägertrupps und Trauer um die Toten und Verletzten, aber auch die Unsicherheit, wie es weitergehen wird – all das bewegt mich. 

Im Blick auf die Unruhen in Ägypten wird inzwischen oft die Frage gestellt, ob es sich um einen demokratischen Aufbruch handelt oder die Welt sich eher vor einer islamistischen Machtübernahme zu fürchten hat. Ist die Parallele 1979 (Iranische Revolution) oder 1989 (Umbruch in Osteuropa)? Keine der beiden Optionen ist in der aktuellen Lage wirklich auszuschliessen (und da sich Geschichte bekanntlich nicht einfach wiederholt, gibt es noch viele andere Optionen).

Auf jeden Fall wird sich nun zeigen müssen, wie ernst das Angebot in Obamas Kairoer Rede war, der muslimischen Welt eine faire Partnerschaft anzubieten. Faire Partnerschaft heisst wohl heute, die Bündnisse mit Diktatoren aufzugeben und – ob es uns gefällt oder nicht – auch islamistische Strömungen in eine partnerschaftliche Zusammenarbeit einzuschliessen. In Ägypten wird es keinen tragfähigen Regimewechsel geben ohne Einbezug der Muslimbruderschaft. Dabei ist noch völlig offen, ob diese sich in Richtung der AKP in der Türkei entwickeln wird oder eher eine alleinige Machtausübung und die strikte Einführung der Scharia anstrebt. Das ist keine gemütliche Ausgangslage, aber so ist sie nun einmal. Nur das Angebot fairer Partnerschaft kann die Entwicklungen im positiven Sinn beeinflussen. Ein Festhalten an den Diktatoren oder die Unterstützung neuer halb- oder scheindemokratischer Strukturen wird die feindseligen Gefühle in der islamischen Welt gegenüber dem Westen nur verstärken.

Für Israel und für die Christen in der Region sind die Entwicklungen beunruhigend und gefährlich. Aber ein Festklammern an den verhassten Diktatoren macht die Situation langfristig nur noch schlimmer. Was wir Israel und den Christen in der Region schuldig sind, das ist ein entschlossenes Eintreten für das Existenzrecht und die Sicherheit Israels und für Religionsfreiheit. Die Unterstützung demokratischer Entwicklungen und wirtschaftlicher Perspektiven bildet dafür die besten Voraussetzungen. Und die Glaubwürdigkeit unseres Eintretens für Religionsfreiheit erweist sich an unserem Umgang damit in unserer eigenen Welt, im entschiedenen Widerspruch gegen islamophobe Tendenzen im Westen, im Umgang mit Migrantinnen und Migranten aus der islamischen Welt.

Demokratischer Aufbruch oder islamistische Gefahr – beides ist möglich. Wer aber die islamistischen Kräfte mit allen Mitteln ausschliessen und bekämpfen will, trägt am meisten zu einer islamistischen Gefahr bei.

Von Menschen und Göttern II

Vor einiger Zeit habe ich auf den Film „Des hommes et des dieux“ hingewiesen.  Beeindruckend an diesem Film finde ich die Stille und Ruhe, in der diese Klostergemeinschaft ihrem Tagewerk nachgeht. Wie sie sich weigern, sich von der Armee schützen zu lassen, weil Gewalt für sie kein Weg ist. Wie sie mit sich und miteinander ringen um die richtige Entscheidung „bleiben oder gehen“, wie sie ihre inneren Kämpfe austragen. Beeindruckend auch, wie das freundschaftliche und respektvolle Miteinander mit den Dorfbewohnern gezeigt wird. Wie die Mönche in ihren uralten und scheinbar so weltfremden Ritualen und Gesängen leben und daraus eine ungeheure Kraft schöpfen. Wie sie sich der Gewalt nicht beugen und nicht dem Hass verfallen. Ein Mönch zitiert Blaise Pascal: „Niemals tut der Mensch das Böse so vollkommen und fröhlich, als wenn er es aus religiöser Überzeugung tut.“ Und die Worte des Abtes gegen Ende des Films sind bewegend. Noch in seinen Entführern sieht er die Menschen und bittet für sie. Er weigert sich, die Gewalt im Namen der Religion zur Waffe gegen diese Religion zu gebrauchen.

Jan Ross stellt in der ZEIT vom 13. Januar in seinem Artikel „Märtyrer“ die provozierende Frage, ob dieser Film auch so erfolgreich wäre, wenn er nicht in den Zusammenhang der Islamdebatte träte und wenn die Mönche statt von Islamisten von fanatischen Hindus oder mexikanischen Drogenhändlern ermordet worden wären. Die Antwort fällt nicht leicht. Und trotzdem zeigt Jan Ross eindrücklich, warum man den Film schon grob missverstehen müsste, wenn man ihn zum Instrument im vielbeschworenen Kampf der Kulturen machen würde:

Die Mönche im Atlasgebirge verstanden sich nicht als Vorposten der westlichen Zivilisation, sie waren nicht einmal christliche Missionare, die ihren Glauben verbreiten wollten. Sie lebten einfach dort unter den mehrheitlich muslimischen Algeriern, feierten Gottesdienst, trieben Landwirtschaft und behandelten die Kranken des Dorfs. Das war ihr »Zeugnis«, das sie nicht preisgeben konnten und für das sie im Ernstfall ihr Leben zu opfern bereit waren. Ihr Verhältnis zum Islam war gerade nicht konfrontativ, sondern brüderlich: Auf dem Tisch von Christian de Chergé lag der Koran neben der Bibel, und noch in seinem Abschiedsbrief bekennt er seine Liebe zu Land und Leuten, ihre Religion eingeschlossen.“ (Die Zeit Nr. 3 v. 13.1.2011, S.5)

 

 

 

Free Liu Xiaobo

Anlässlich der Nobelpreisverleihung haben chinesische Menschenrechtskämpfer einen offenen Brief an die chinesische Regierung verfasst, der in der NYRB veröffentlicht wurde: http://www.nybooks.com/blogs/nyrblog/2010/dec/09/free-liu-xiaobo-now/?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+nybooks+%28The+New+York+Review+of+Books%29

Kategorien:Freiheit, Politisches Schlagwörter: , ,

Ist Religion gut für die Welt?

Im Blog von Jörg Lau auf Zeit Online fand sich heute ein Beitrag unter der Überschrift „Ist Religion gut für die Welt? “ (http://blog.zeit.de/joerglau/2010/12/06/ist-religion-gut-fur-die-welt_4397) Der Anlass war eine Debatte zwischen dem Religionskritiker Christopher Hitchens und  dem britischen Ex-Premier und bekennenden Katholiken Tony Blair. Die Fragestellung des Beitrags hat mich irritiert und deshalb möchte ich hier einige Gedanken dazu festhalten (die ich auch als Kommentar zu Lau’s Artikel eingestellt habe).
1. Wie sinnvoll ist eigentlich die Frage, wie gut Religion für die Welt ist? Setzt diese Frage nicht gerade eine problematische Funktionalisierung oder Verzweckung von Religion voraus, die es in Frage zu stellen gilt?
2. Schleiermacher hat einmal festgestellt, man solle nichts aus Religion, aber alles mit Religion tun. Religion ist für ihn nämlich nicht Metaphysik oder Moral, sondern das “Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit”, eine Grundbestimmtheit unseres Seins. Religionen müssen sich unbedingt an ihren Auswirkungen messen lassen. Aber wo Religionen allein als Mittel zum (guten oder schlechten) Zweck behandelt werden, greift die Analyse zu kurz.
3. Dass Religionen ja auch Gutes bewirkt haben (so offenbar ein wichtiges Argument von Tony Blair), ist in der Tat ein schwaches Argument. Allerdings ist das Argument, dass es für dieses Gute die Religion als Begründung gar nicht bräuchte, mindestens eben so schwach.
4. Es ist klar, dass Religionen konfliktverschärfend wirken, wo sie zur Begründung von Landansprüchen oder Dominanzansprüchen verwendet werden. Das zeigt aber nur, dass die Unterscheidung von religiöser und politischer Argumentation eine wichtige und erhaltenswerte kulturelle Errungenschaft ist.
5. Wenn die Länder, in denen die politisierte Religion die meisten Verwüstungen anrichtet, die höchste Meinung von ihrer Kraft zum Guten haben, dann lässt sich daraus nicht mehr und nicht weniger als die Tatsache ableiten, dass in diesen Ländern Religion eine kulturelle Selbstverständlichkeit ist und ihre politische Verzweckung nicht zu einer Infragestellung führt.
6. Religion ist für mich am ehesten vergleichbar mit der Kunst, wo die Frage, ob sie gut oder schlecht für die Welt ist, wohl kaum sinnvoll zu stellen ist.
7. Religion ist eine Kulturtatsache. Sie bewahrt Sinnpotentiale, die sich nicht einfach in eine säkulare Weltanschauung transformieren lassen. Wo Menschen nicht aus Religion, sondern mit Religion handeln, werden sie sich den Fragen von aussen nach den Auswirkungen ihrer Religion stellen, aber sie werden auch daran festhalten, dass es für sie einen Unterschied macht, ob sie das Gute aus utilitarischen Gründen, aus Pflichtgründen oder aus Dankbarkeit für das Geschenk ihres Daseins tun. Und sie werden daran festhalten, dass ihre Religion ihnen heilsame Bilder zur Verfügung stellt für das, was uns jenseits aller Metaphysik und Moral unbedingt angeht.

Kategorien:Freiheit, Gott, Politisches

Gegenvorschlag (von Franz Hohler)

11. November 2010 2 Kommentare

Gegenvorschlag

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 121 Abs. 3-5 (neu)

I                               

3             Im Wissen darum, dass ohne sie            

a.           weder Häuser, Strassen noch Tunnels gebaut würden,

b.            weder Spitäler, Alters- und Pflegeheime, Hotels und Restaurants betrieben würden,

c.            weder Abfall, Reinigung, Verkehr und Informatik bewältigt würden,     

                bedankt sich die Eidgenossenschaft bei allen Ausländerinnen und Ausländern, die hier arbeiten. Sie gibt ihrer Freude darüber Ausdruck, dass sie mit ihrer Tätigkeit das Leben in unserm Lande ermöglichen und heisst sie als Teilnehmer dieses Lebens willkommen.             

4             Sie hofft, dass es ihnen gelingt, sich mit den hiesigen Gebräuchen vertraut zu machen, ohne dass sie ihre Herkunft verleugnen müssen.

5             Sollten sie straffällig werden, unterliegen sie denselben gesetzlichen Bestimmungen wie die Schweizer Bürgerinnen und Bürger.

II                             

 Übergangsbestimmungen:

Dieser Gegenvorschlag bedarf nicht der Volksabstimmung. Er tritt für jedermann vom Moment an in Kraft, da er dessen Richtigkeit erkannt hat.               

von Franz Hohler

Wie Feindbilder entstehen oder verstärkt werden

21. Oktober 2010 1 Kommentar

Als zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit Christian Wulff davon redete, dass der Islam zu Deutschland gehöre, gab es in konservativen Kreisen einen Aufschrei. Dabei sprach Wulff schlicht eine unübersehbare Tatsache aus (die in der Schweiz in der Schweiz ebenso selbstverständlich sein sollte). Und es war genau diese Feststellung, die ihm in dieser Woche die Legitimation verliehen hat, seine Aussage nur leicht variiert zu wiederholen: „Das Christentum gehört zur Türkei.“ Beide Aussagen verdienen Respekt, weil sie die Menschen ernstnehmen und wahrnehmen, die Religion praktizieren und diesen Menschen mit ihrer religiösen Tradition erst einmal das Vertrauen entgegenbringen, dass sie nicht trotz sondern gerade mit ihrer religiösen Tradition einen Beitrag zur Kultur des Landes leisten können, egal ob es nun ihre erste oder ihre zweite Heimat ist. Und sie weisen darauf hin, dass der Respekt und die Offenheit für unterschiedliche Traditionen und Religionen ein wesentlicher Teil dessen ist, was unsere Kultur ausmacht.

Statt an diese elementaren Dinge anzuknüpfen, haben einige es für nötig gehalten, wieder einmal eine Leitkulturdebatte anzuzetteln, die letztlich keine andere Funktion hat, als aus Emotionen politisches Kapital zu schlagen und vermeintlich Fremdes und Fremde auszugrenzen. Was hier geschieht, hat Thomas Assheuer in der Zeit präzise beschrieben: „Man sieht, sobald die jüdisch-christliche Überlieferung in die Mühlen der Kulturkämpfer gerät, passiert etwas Ungeheuerliches: Die biblische Friedensbotschaft verwandelt sich in eine weltliche Feindschaftsadresse. Ausgerechnet Juden- und Christentum sollen dabei behilflich sein, den islamischen Monotheismus als kulturell unverträglich zu definieren, um ihn semantisch aus der deutschen Wertegemeinschaft auszuschliessen.“

Es wäre die vornehmste Aufgabe der christlichen Kirchen, denen mit Nachdruck zu widersprechen, die die jüdisch-christliche Überlieferung dazu missbrauchen, das „Andere“ auszugrenzen. Denn wir wissen um unseren eigenen weiten Weg hin zu einer vorbehaltlosen Bejahung von Religionsfreiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und zugleich wissen wir darum, dass diese modernen Grundwerte zutiefst in der biblischen Tradition verwurzelt, aber nicht unser alleiniger Besitz sind.

Kategorien:Fundamentalismus, Islam, Politisches Schlagwörter: