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Posts Tagged ‘Gegenwart’

Den Himmel in dir tragen

1. Januar 2011 2 Kommentare
„Sorge dich nicht um das, was kommen mag,
weine nicht um das, was vergeht;
aber sorge, dich nicht selbst zu verlieren,
und weine, wenn du dahintreibst im Strome der Zeit,
ohne den Himmel in dir zu tragen.“
 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (1768-1834)

Vertrauen

5. September 2010 1 Kommentar

24 „Niemand kann gleichzeitig zwei Herren dienen!

Entweder wird er den einen hassen

und den anderen lieben.

Oder er wird dem einen treu sein

und den anderen hintergehen.

Ihr könnt nicht gleichzeitig Gott

und dem Geld dienen!

25 Darum sage ich euch:

Macht euch keine Sorgen

um euer Leben –

was ihr essen oder trinken sollt.

Oder um euren Körper –

was ihr anziehen sollt.

Ist das Leben nicht mehr als Essen und Trinken?

Und ist der Körper nicht mehr als Kleidung?

26 Seht euch die Vögel an!

Sie säen nicht,

sie ernten nicht,

sie sammeln keine Vorräte:

Und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.

Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?

27 Mit allen Sorgen,

die ihr euch macht:

Wer von euch kann sein Leben dadurch

auch nur um eine Stunde verlängern?

28 Und warum macht ihr euch Sorgen

was ihr anzieht?

Seht euch die Wiesenblumen an:

Sie wachsen,

ohne zu arbeiten

und ohne sich Kleider zu machen.

29 Ich sage euch:

Nicht einmal Salomo in all seiner Pracht

war so schön gekleidet wie eine von ihnen.

30 Gott macht die Wiesenblumen so schön.

Und dabei gehen sie an einem Tag auf

und werden am nächsten Tag im Backofen verbrannt.

Darum wird er sich noch viel mehr um euch kümmern.

Ihr habt zu wenig Vertrauen!

31 Macht euch also keine Sorgen!

Fragt euch nicht:

Was sollen wir essen?

Was sollen wir trinken?

Was sollen wir anziehen?

32 Um all diese Dinge

dreht sich das Leben der Heiden.

Euer himmlischer Vater weiß doch,

dass ihr das alles braucht.

33 Strebt vor allem anderen

nach seinem Reich

und nach seinem Willen –

dann wird Gott euch das alles schenken.

34 Macht euch also keine Sorgen um den kommenden Tag –

der wird schon für sich selber sorgen.

Es reicht, dass jeder Tag seine eigenen Schwierigkeiten hat.“

Matthäus 6,24-34 (Übersetzung: Basis Bibel)

Saitensprung

2. September 2010 2 Kommentare

Manchmal – nicht nur mit dem Alter – müssen Menschen erfahren, dass sie nicht mehr über ihre gewohnten Kräfte verfügen, dass Dinge, die einmal selbstverständlich waren, nicht mehr möglich sind.  Als Pfarrer bekomme ich dann gelegentlich ein resigniertes „Was bin ich denn überhaupt noch wert?“ zu hören. Es hat meist etwas sehr Destruktives und Entmutigendes, wenn wir uns mit anderen vergleichen, die Dinge besser können, wenn wir mit eigenen früheren Möglichkeiten vergleichen. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob wir über unsere Grenzen und unsere gescheiterten Versuche klagen oder ob wir staunen können über das, was möglich ist. In einer Saemann-Kolumne hat Lorenz Marti dazu eine wunderbare kleine Geschichte erzählt, die ich hier weitergeben möchte (mit einem Dank an ihn für die Erlaubnis):

Saitensprung

   Ich habe mich einmal, lange ist’s her, mit einer Geige abgemüht. Ich war ein Kind und sollte ein Instrument spielen lernen. Die Geigenlehrerin hatte es schwer mit mir: Ich habe kaum geübt. Ich kam unvorbereitet in die Stunde und strich mit dem Bogen lustlos über die Saiten. Es tönte falsch, manchmal blieb ich auch stecken. Du musst besser üben, ermahnte mich die Lehrerin, selber eine bekannte Geigerin. Ich übte nicht besser. Ich übte gar nicht. Es war ein Fiasko. Irgendeinmal haben wir uns getrennt, die Geigenlehrerin, die Geige und ich.

   Und jetzt lese ich von einem der bekanntesten Geiger und staune: Itzhak Perlman hat unter schwierigsten Umständen zu wahrer Grösse gefunden. Er wurde 1945 in der israelischen Hafenstadt Jaffa geboren. Als Vierjähriger erkrankte er an Polio, ist seither behindert, trägt Stützen an beiden Beinen und geht an Krücken, oft unter grossen Schmerzen. Schon als Kind hatte er eine grosse Leidenschaft: die Geige. Ganz für sich alleine erprobte er die Möglichkeiten dieses Instruments. Er übte unermüdlich und brachte es so weit, dass er in die Musikakademie von Tel Aviv aufgenommen wurde. Damit begann ein kometenhafter Aufstieg. Innert weniger Jahre wurde Perlman zum grossen Star unter den Geigern. Er zog in die USA und füllt dort bis heute die Konzertsäle.

   Bei einem Konzert in New York passierte ihm einmal ein Missgeschick. Er hatte eben die ersten Akkorde gespielt, als eine Saite riss. Es wurde ganz still im Saal. Perlman wartete, schloss für einen Moment die Augen und bat dann den Dirigenten, noch einmal zu beginnen. Das Orchester setzte ein, und der gebrechliche Geiger spielte mit so viel Leidenschaft und Hingabe, dass sich das Publikum am Schluss erhob und minutenlang applaudierte. Es soll eines seiner besten Konzerte gewesen sein.

   Eigentlich ist es gar nicht möglich, ein Violinkonzert mit drei Saiten zu spielen. Itzhak Perlman wollte sich dieser Unmöglichkeit  nicht beugen. Er erfand das ganze Stück neu, veränderte es und entlockte seinem Instrument Töne, wie er sie noch nie gespielt hatte. „Wissen Sie“, meinte er am Schluss, „manchmal ist es die Aufgabe eines Künstlers herauszufinden, wie viel Musik man noch machen kann mit dem, was einem übrig geblieben ist.“ (Hervorhebung von mir)

   Auch wenn ich mit der Geige gescheitert bin, auch wenn ich sonst im Leben einiges nicht geschafft oder verloren habe – dieser eine Satz zeigt, dass das alles nicht so wichtig ist. Musik kann man immer machen. Sogar mit nur drei Saiten.

 Lorenz Marti   (erschienen in der Rubrik „Spiritualität im Alltag“ in der Zeitschrift saemann im Juni 2007)

Das zweite Buch von Lorenz Marti mit dem Titel „Mystik an der Leine des Alltäglichen“ ist kürzlich als Herder-Taschenbuch erschienen.

Das Flüstern eines sanften Windhauchs und das Toben der Fanatiker

Im letzten Beitrag habe ich die Geschichte des lebensmüden Elia unter dem Ginsterstrauch erzählt. Was hat aber den Propheten Elia in diese tiefe Krise geführt? Dazu muss ich kurz die Geschichte in Erinnerung rufen, die vorausgeht und auf die sich Kap. 19 bezieht: Isebel, die Königin, hatte den Kult der Baalsgötter in Israel eingeführt und den alten Glauben bekämpft und seine Priester ermordet. Elia stellte sich ihr entgegen und versuchte, das Volk zum Glauben an den Gott der Mütter und Väter zurückzuführen und die Baale nicht anzubeten. Auf dem Berg Karmel, so wird erzählt, kommt es zu einer dramatischen Entscheidung: Elia steht alleine 450 Baalspriestern gegenüber. Zwei Opferaltare werden aufgebaut und es wird vereinbart, dass dessen Gott sich als der wahre erweisen solle, der sich dazu bewegen liesse, das Opfer durch Feuer vom Himmel zu entzünden. Mit Tänzen, Gebeten und martialischen Ritualen rufen die Baalspriester ihre Götter an – aber ohne Erfolg. Elia aber lässt seinen Opferaltar sogar noch mit Wasser übergiessen und auf ein einfaches Gebet hin fängt sein Opfer Feuer. Der Gottesbeweis – so legt es die Geschichte nahe – ist erbracht und Elia – so wird uns erzählt –führt die Baalspriester zu einem Bach und schlachtet sie dort ab. Nun aber trachtet die Königin Isebel dem Elia erst recht nach dem Leben.

Man kann Elia wegen seines Mutes, der ganzen Schar der Baalspriester entgegenzutreten, bewundern. Er begibt sich um seines Glaubens willen in Gefahr, verhaftet und getötet zu werden. Er ist sich seines Glaubens und seines Auftrags so sicher, dass er nicht daran zweifelt, dass sein Gott sich als der Stärkere erweisen würde. Trotzdem hoffe ich sehr, dass wir mindestens ebenso sehr erschrecken über das Blutbad, das er am Ende anrichtet, darüber, wie seine Glaubensgewissheit umschlägt in religiösen Fanatismus und Gewalt. Wir dürfen uns diesem Entsetzen nicht entziehen und nicht vergessen, dass sich auch in der Geschichte unseres christlichen Glaubens eine Spur der Gewalt zeigt, die die Folge von religiösem Eifer und Fanatismus ist.

Ich denke, dass die Bibel – obwohl wir kein ausdrückliches Wort der Kritik an Elia finden – mit unserem Predigttext diesen Fanatismus des Elia in ein kritisches Licht rückt. Ich glaube sogar, dass es gerade dieser vermeintliche Gottesbeweis und der darauf folgende Blutrausch ist, der Elia in die Krise stürzt. Denn welcher Kontrast könnte grösser sein als der eines Gottes, der seine Macht erweist, indem er Feuer vom Himmel herabfallen lässt und es scheinbar gutheisst, dass die Baalspriester abgeschlachtet werden und dem Gott, der Elia seinen Boten sendet und ihn mit Brot und Wasser stärkt, dem Gott, der Elia ausdrücklich nicht im Sturm, nicht im Erdbeben und auch nicht im Feuer begegnet, sondern im Flüstern eines sanften Windhauchs.

Könnte es nicht sein, dass gerade die fanatische Glaubensgewissheit, die auf vermeintlichen Gottesbeweisen aufbaut und allen Unglauben und Irrglauben kompromisslos zu bekämpfen trachtet, hier umschlägt in tiefste Verzweiflung? Und könnte es nicht sein, dass gerade deshalb sich Gott nun Elia ganz anders zeigt? Gerade die Gegenüberstellung der machtvollen Phänomene Sturm, Erdbeben und Feuer zum sanften Flüstern eines Windhauchs zeigt uns eindrücklich, wo wir die Gegenwart Gottes erfahren können und wo nicht. Sie macht auch die Geschichte vom vermeintlichen Gottesbeweis auf dem Karmel zumindest fragwürdig. Und auf jeden Fall setzt sie den Blutrausch des Elia, religiösen Fanatismus und religiöse Gewalt definitiv ins Unrecht. Das Flüstern eines Windhauchs verträgt sich nicht mit Fanatismus, Gewalt, Angstmacherei und Zwang. Ja, vielleicht ist die Geschichte von Elia unter dem Ginsterstrauch und seiner anschliessenden Gottesbegegnung am Horeb eine Bekehrungsgeschichte – die Bekehrung des Elia von religiösem Fanatismus und dem Weg der Gewalt. Ist Karmel sogar der unheilige Berg des religiösen Fanatismus, wo sich die Absolutheitsansprüche in einer fast grotesken Szene austoben und in einem Blutrausch enden, während der Horeb der heilige Berg einer ganz anderen Gotteserfahrung ist, des Flüsterns eines leisen Windhauchs  – einer Erfahrung, die bezwingt indem sie anrührt? Ich jedenfalls kann an dem vermeintlichen Sieg Jahwes auf dem Karmel keine Freude haben. Der Gott, dem ich vertrauen kann, zeigt sich in den leisen Tönen, in der Stille, in der unscheinbaren Begegnung.

Glück

Glück

Was sind all die Schätze dieser Welt verglichen mit dem Glück, einen Menschen zu finden, dem ich vertrauen kann? Was sind die die grossartigsten Gedankengebäude im Vergleich zu einem Menschen, der mich umarmt? Was sind die herausragendsten Leistungen angesichts dessen, der mich gegen das Unrecht verteidigt? Was sind alle Genüsse dieser Welt im Vergleich zu einem vertrauten Gespräch unter Freunden? Was sind die stolzesten Traditionen angesichts eines Menschen, der bereit ist, mit mir etwas Neues zu wagen?

Einfache Fragen – naheliegende Antworten. Und doch vergessen wir sie in unserem Lebensalltag so oft. Was auch immer wir erreichen wollen, welche Ziele wir auch verfolgen – nie dürfen wir vergessen, dass es die Menschen sind, auf die es ankommt, nicht die, die uns nützlich sind, sondern die, die uns brauchen. Denn die nützlichen Menschen nützen oft nichts mehr, wenn wir sie wirklich brauchen. Und wenn wir andere unter dem Aspekt ihres Nutzens betrachten, werden wir die Menschen übersehen, die wirklich wichtig für uns sind. Wichtiger als alle Gedankengebäude und Erkenntnisse, ja wichtiger noch als unsere religiösen Erkenntnisse und Glaubenssätze sind die Menschen.

Meister Eckhardt hat es wunderbar formuliert:
„Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart, der bedeutendste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht, das notwendigste Werk ist stets die Liebe.“

Und nicht weniger treffend die grossartige Lyrikerin Rose Ausländer:

Die Menschen

Immer sind es
die Menschen

Du weisst es

Ihr Herz
ist ein kleiner Stern
der die Erde
beleuchtet

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