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Archive for September 2022

Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe – 4. Tag

Im thematischen Plenum des heutigen Tages ging es um die Bekräftigung der Ganzheit des Lebens. Systemische Ungerechtigkeit wurde angesprochen und lebensbejahende Alternativen aufgezeigt. Vertreter:innen von Kirchen aus dem globalen Süden kamen zu Wort.
«Kapitalismus tötet» – wenn wir diesen Satz in einem schweizerischen Kontext aussprechen, geraten wir in Verdacht, uns einer linken bis linksextremen Ideologie zu verschreiben. Und es ist ja tatsächlich so, dass ein auf Konkurrenz und freier Entfaltung aufbauendes Wirtschaftssystem den Menschen im Westen viel Wohlstand ermöglicht hat – allerdings auch eine Menge von hochproblematischen Nebenwirkungen, zu denen die Klimakatastrophe gehört.
Wenn wir auf unsere Schwestern und Brüder im Süden hören, dann ist der Satz «Kapitalismus tötet» keine linke Ideologie, sondern tagtägliche Lebenserfahrung. Das ist mir am heutigen Tag der Vollversammlung des ÖRK wieder einmal bewusst geworden. Als Christ:innen ist es unsere Aufgabe, diese Stimmen des Südens zu hören und sie in unsere Gemeinden und unsere Gesellschaften zu tragen. Wir können nicht anders, als eine weltweite, ökumenische Perspektive einzunehmen. Und wir können unseren Gemeinden unangenehme Wahrheiten, den Blick auf die vulnerablen Menschen nicht ersparen.
Wie gelingt es uns, dabei zu zeigen, dass wir uns nicht einer säkularen Ideologie verschrieben haben, sondern den Schwestern und Brüdern, die durch die gegenwärtige Ausgestaltung unseres Wirtschaftssystems ihrer Lebenschancen beraubt werden? Wie gelingt es uns, die Dringlichkeit eines Umdenkens angesichts des Klimawandels deutlich zu machen, ohne in apokalyptische Szenarien zu verfallen und Resignation oder Radikalisierung zu befördern?
Es kann nur gelingen, wenn wir die hören und sichtbar machen, die unter den gegenwärtigen ökonomischen Strukturen leiden und unter der drohenden Zerstörung von Lebensraum. «Compassion» ist einer der zentralen Begriffe dieser Vollversammlung. Wo das Leiden Mitgefühl weckt und die Liebe Christi uns dazu fähig macht, uns von Herzen mit anderen zu verbinden, wird Veränderung, Einheit und Versöhnung möglich. Es ist keine Ideologie, welcher Couleur auch immer, die uns dazu treibt, strukturelle Ungerechtigkeiten, Ausbeutung und die Verletzung von Menschenrechten anzuklagen, sondern die herzliche Verbundenheit mit den Verletzlichen, in denen uns Christus begegnet.
Wir müssen eine Sprache finden, die deutlich macht, dass es das Mitgefühl mit den Betroffenen ist, welches uns zur Anklage und zum Handeln treibt. Wir müssen eine Sprache finden, die auch denen Respekt entgegenbringt, die in den ökonomischen Strukturen handeln und gerecht, menschlich handeln möchten. Und wir sind uns bewusst, dass es nicht an uns ist, diese Welt zu retten, sondern dass wir auf Gottes Zukunft setzen sollen. Wer aber auf Gottes Zukunft setzt, kann nicht wegschauen, wenn Menschen verletzt und ihrer Lebensgrundlagen beraubt werden.
Am Nachmittag fand die erste Beschlussfassungs-Session statt, bei der 8 Präsident:innen gewählt wurden, sechs aus den verschiedenen Weltregionen und zwei Vertreter der Orthodoxie. Für Europa wurde Rev. Prof. Dr. Susan Durber von der United Reformed Church UK gewählt.

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Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe – Tag 3

Der Freitag stand unter dem Thema Europa und im Zentrum war die Diskussion über den Ukrainekonflikt.
Vor dem Plenum gab es ein mit standing ovations bedachtes Grusswort der Generalsekretärin von Religions for Peace Prof. Azza Karam. Sie unterstrich, dass die Liebe Christi nicht nur den Christ:innen gilt, sondern allen Menschen, auch ihr als Muslima und sie bat die Versammlung, alles dazu beizutragen, dass Krieg keine Option sein darf.
Nach der Rede von Bundespräsident Steinmeier und der harschen Verlautbarung der Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche, die Steinmeier Einmischung in innerkirchliche Angelegenheiten vorwarf, durfte man auf die heutige Plenarsession gespannt sein. Der geschäftsführende Generalsekretär Prof. Ioan Sauca hatte ja zu Beginn der Versammlung betont, dass der ÖRK niemand ausschliesst, sondern eine Plattform des Dialogs ist, ein «safe space» und gleichzeitig die Teilnehmenden aus der Ukraine herzlich begrüsste und den russischen Angriffskrieg mit klaren Worten beim Namen nannte.
Wer im Plenum einen Dialog zwischen Vertretern aus der Ukraine und Russland erwartet hatte, wurde enttäuscht. Die Bühne der Schwarzwaldhalle wäre dafür sicher auch kein geeigneter Rahmen gewesen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Dialog im kleinen Kreis am Rande der Versammlung möglich wird und Schritte der Annäherung gegangen werden. Im Plenum kamen dafür Vertreter:innen aus der Ukraine zu Wort, die uns eindrücklich auf ihr Schicksal und die humanitären Aufgaben der Kirchen hinwiesen. Man darf diesen Entscheid, auf die Stimme der Opfer zu hören, durchaus als klare Stellungnehme des ÖRK zugunsten der Opfer dieses Konflikts und gegen die russische Aggression verstehen.
Im Swisshub der EKS fand eine Podiumsdiskussion “Being Protestant in Europe today, contributing to reconciliation and unitity” statt. Engagiert diskutierten Annette Kurschus, Präses der EKD, Emmanuelle Seyboldt, Präsidentin der Eglise Protestant Unis de France und die Präsidentin der EKS Rita Famos miteinander und stellten sich den Fragen des Publikums. Dabei wurde deutlich, wie unterschiedlich die Rolle der Kirche in den drei Ländern ist, mit welchen gemeinsamen Herausforderungen sie aber auch konfrontiert sind.

Podiumsgespräch im Swiss Hub der EKS
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Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe Tag 2

Vielstimmig, vielsprachig und bunt – die Gottesdienste an der Vollversammlung sind ein Erlebnis. Sie vermitteln eine Ahnung des Pfingstgeistes. Berührend war heute eine Zeremonie, in der Vertreter:innen aller Weltgegenden Wasser in ein Becken schütteten. Abgeschlossen wurde die Zeremonie mit den Worten: «Wir werden ernährt, versorgt und miteinander verbunden. Wir sind angewiesen auf alles Leben auf unserem Planeten. Wir sind durch die Taufe in Christus vereint. Wir sind gereinigt. Wir sind gesegnet.

Das thematische Plenum stand unter dem Thema “The purpose of God’s love for the whole creation – reconciliation and unity”. Im Zentrum standen Fragen der Klimagerechtigkeit und die Situation im Nahen Osten.

Hyunju Bae aus Korea legte in ihrer Bibelarbeit Mt 9,35-38 aus. In der Zürcher Bibel heisst es: Als er (Jesus) die vielen Menschen sah, taten sie ihm leid. Die Lutherbibel übersetzt «es jammerte ihn». Die englische Übersetzung «he had compassion with them» bringt viel deutlicher zum Ausdruck, worum es an dieser Stelle geht. Bae führte uns vor Augen, wie zentral compassion/Mitgefühl für das Verständnis Jesu ist und zeigte auf, dass compassion eine wichtige Führungsqualität ist. Die Nachfolge Jesu führt zu einem Bewusstseinswandel. Statt einer «Macht über» brauchen wir eine «Macht mit», die von Anerkennung und Respekt geprägt ist gegenüber allen Geschöpfen Gottes. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. In der ökumenischen Bewegung ist in letzter Zeit von einer «Ökumene der Herzen» die Rede. Ein hilfreiches Leitbild für die gemeinsame Nachfolge auf dem Weg des mitfühlenden Jesus.

Am Abend des 2. Versammlungstages trafen sich die unterschiedlichen Konfessionen, die Reformierten unter dem Dach des Reformierten Weltbundes. Es war ein eindrückliches Zeichen reformierter Vielfalt und weltweiter Verbundenheit. In diesem Rahmen wurde der ehemalige Generalsekretär des Reformierten Weltbundes Jerry Pillay aus Südafrika für sein neues Amt als Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen gesegnet und mit einer Bibel geschenkt. Pillay zeigte sich sehr gerührt von dieser Zeremonie. Er dankte für das Geschenk und meinte, es könne für einen Reformierten kein passenderes Geschenk geben als Gottes Wort.

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11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe Tag 1

Nach über 50 Jahren findet wieder eine VV des ÖRK auf europäischem Boden statt. Dass der Tagungsort Karlsruhe meine Heimatstadt ist, freut mich natürlich besonders. In der Schwarzwaldhalle habe ich mein erstes grosses Konzert besucht (Uriah Heep). Nun treffen sich in Karlsruhe rund 4000 Christ:innen aus aller Welt, rund 850 sind Delegierte der Mitgliedskirchen, die in diesen Tagen wichtige Entscheidungen über den weiteren Kurs des ÖRK treffen und den Zentralausschuss wählen.

Am Eröffnungstag sprachen die Moderatorin des Zentralausschusses des ÖRK Dr. Agnes Abuom und der geschäftsführende Generalsekretär Prof. Dr. Ioan Sauca. Sauca betonte in seinem eindrücklichen Bericht, dass der ÖRK eine Plattform des Dialogs sei und schilderte die Bemühungen des ÖRK, die russisch-orthodoxe Mitgliedskirche in einen kritischen Dialog zu bringen. Besonders herzlich wurden die ukrainischen Teilnehmenden begrüsst. Im Blick auf den Palästinakonflikt unterstrich Sauca, dass der ÖRK sich entschieden gegen Antisemitismus wende, jedoch Menschenrechtsverletzungen und Unrecht gegen die palästinensische Bevölkerung beim Namen nenne. Er berief sich auf den Dialog mit den Christ:innen in der Region und mahnte zu Vorsicht und Besonnenheit und wandte sich gegen eine Gleichsetzung der israelischen Politik mit der Apartheid.

Zu Gast war auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der als aktives Mitglied der reformierten Kirche in seinem Grusswort eindrücklich das Logo der Vollversammlung thematisierte und mit seinem Aufruf, sich gegen jede Form des Antisemitismus klar zu positionieren, eines der heissen Eisen der Versammlung und den deutschen Kontext ins Spiel brachte. In sehr deutlichen Worten drückte Steinmeier die Solidarität mit der Ukraine aus, verurteilte den russischen Angriffskrieg und den Missbrauch des christlichen Glaubens durch die Führung der russisch-orthodoxen Kirche. Man solle sich durchaus als Plattform des Dialogs verstehen, dürfe dem Dialogpartner aber unangenehme Wahrheiten nicht ersparen. Man darf gespannt sein, wie die weiteren Diskussionen auf der Vollversammlung zu diesen Themen verlaufen werden.

Ein eindrückliches Erlebnis war der Eröffnungsgottesdienst. Das bunte Miteinander von Christ:innen und Christen aus aller Welt, die miteinander singen und beten, hat sich mir eingeprägt und die Vorfreude auf die Gottesdienste und Bibelarbeiten der kommenden Tage verstärkt. Dass er ein buntes Potpourri war und ziemlich lange dauerte, war zu verschmerzen.

Gespannt bin ich auch auf die thematischen Plenumsveranstaltungen. Wie wird hier in Karlsruhe über den Ukrainekrieg diskutiert werden? Wie wirkt sich der deutsche Kontext auf die Diskussionen zu Israel/Palästina aus? Welche Rolle werden Fragen des Postkolonialismus oder Genderthemen spielen? Was können die Kirchen gemeinsam zur Klimagerechtigkeit beitragen? Oder zu den brennenden Themen weltweiter Gerechtigkeit? Was heisst Einheit der Kirche heute und welche Einheit wollen wir anstreben? Und vor allem: kann das Thema der Vollversammlung «Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt» uns geistlich stärken und ermutigen, unsere christliche Verantwortung in dieser Welt wahrzunehmen und uns dabei untereinander respektvoll und geschwisterlich darüber zu verständigen, wozu die Liebe Christi uns bewegt?

Bewegt von diesem Auftakt erwarte ich neugierig und gespannt auf die kommenden Tage.
Pfr. Bernd Berger

Eröffnungsgottesdienst
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