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Der höchste Himmel kann dich nicht fassen

3. Juni 2011 1 Kommentar

„Wo wohnt denn der liebe Gott?“ – das ist eine dieser Kinderfragen, die so naiv klingen und doch tiefgründiger sind als wir auf den ersten Blick meinen. „Der liebe Gott wohnt im Himmel“, sagen wir den Kindern dann oft. Manchmal antworten wir vielleicht: „Der liebe Gott wohnt überall.“  Eine andere Antwort lautet: „Gott wohnt in den Herzen der Menschen. Er ist die Kraft zum Guten, die Liebe, die uns erfüllt, das Vertrauen, das wir in uns spüren.“  In den Schriftreligionen sagt man auch: „Gott wohnt im Wort der Heiligen Schrift.“

Und wie sieht es mit der Antwort „Gott wohnt in der Kirche“ aus. Immerhin heisst die Kirche ja auch das Haus Gottes. Trotzdem ruft gerade diese Antwort besonders viel Widerspruch hervor – auch und vor allem bei Menschen, die spirituell auf der Suche sind. „Glaube ja, Kirche nein“ heisst oft der Leitspruch. Man kann doch schliesslich auch ein guter Mensch sein, ohne in die Kirche zu gehen und umgekehrt macht der Kirchgang niemand automatisch zu einem besseren Menschen. Mancher fühlt sich auf einem Berggipfel dem lieben Gott tatsächlich näher als in einer Kirche. Ich habe nicht das geringste Interesse, all dies zu bestreiten oder auch nur zu relativieren. Ich möchte nicht einmal andere davon überzeugen, dass sie eben die Kirche doch noch brauchen, um die richtigen Gotteserfahrungen zu machen. Zu lange wurde der Eindruck erweckt, ausserhalb der Kirche gebe es kein Heil.

Der Predigttext für Christi Himmelfahrt ist ein Gebet, einige wenige Verse aus dem Tempelweihegebet des israelitischen Königs Salomos. Darin fällt ein Satz besonders auf: „Aber sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Sieh, der Himmel, der höchste Himmel kann dich nicht fassen, wieviel weniger dann dieses Haus, das ich gebaut habe!“ Dass Gott grösser ist als unsere religiösen Bauwerke, als unsere religiösen Lehren, als unsere Glaubensgemeinschaften, diese Einsicht ist unserem Glauben von Grund auf eingeschrieben. Diese Einsicht gilt aber auch für die Gegenwart Gottes in der Schönheit der Natur oder in unseren Herzen. Ich denke, dass die Antworten auf die Kinderfrage „Wo wohnt denn der liebe Gott“ alle ihr Recht und ihre Grenze haben. Keine macht die andere überflüssig oder falsch, aber auch keine kann die Fülle Gottes einfangen.

 Wenn ich mich mit offenen Augen in der Natur bewege, kann ich tatsächlich die Gegenwart Gottes erahnen und kein Gottesdienst, keine Predigt kann mir diese Erfahrung ersetzen. Aber die Naturerfahrung ersetzt mir auch nicht das gemeinsame feiern, singen und beten im Gottesdienst, das Hören auf Gottes Wort, das Gespräch mit anderen und die Zuwendung von anderen, die ich erfahre. Das Gute, das wir im Alltag erfahren und tun, kann durch die klügsten und berührendsten Gottesdienste und Kirchenräume nicht aufgewogen werden. Aber ich brauche auch die Orte und Momente, wo ich zur Ruhe kommen und loslassen kann. Gott braucht keine monumentalen Kirchen, ja überhaupt kein Gebäude. Trotzdem werde ich, wenn ich Stille suche und Besinnung, eher in eine schöne Kirche sitzen als in eine Turnhalle.

„Aber sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Sieh, der Himmel, der höchste Himmel kann dich nicht fassen, wieviel weniger dann dieses Haus, das ich gebaut habe!“ Mit diesen Worten ist all unseren Gotteserfahrungen eine heilsame Grenze gesetzt. Sie können die Fülle Gottes nicht fassen. Und doch sind es wertvolle und kostbare Gotteserfahrungen, sei es in der Natur, in einer Kirche oder in tätiger Nächstenliebe.

 Der Abschnitt aus der Apostelgeschichte, den wir in der Schriftlesung gehört haben, ist ja die biblische Grundlage dafür, dass wir einen Auffahrtstag begehen und heute Gottesdienst feiern. Jesus wird den Blicken der Jünger entzogen. Er ist aufgefahren in den Himmel, wie es im apostolischen Glaubensbekenntnis heisst. In Treue zu dem, was sie mit Jesus erlebt und von ihm gelernt haben, stehen sie nun selber in der Verantwortung. Sie sind zurück gelassen und doch nicht verlassen. Denn auch hier gilt: der höchste  Himmel kann dich nicht fassen. Jesus ist nicht mehr bei ihnen und doch mitten unter ihnen – da wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, weil er versprochen hat, alle Tage bei ihnen zu sein bis an der Welt Ende und weil er ihnen verheissen hat, dass sie die Kraft des heiligen Geistes empfangen werden. Selber verantwortlich für unser Leben, für diese Welt und doch nicht allein – diese Umschreibung trifft auch unsere Situation gut. Der, den der höchste Himmel nicht fassen kann, wie sollte der sich fassen lassen in unseren Religionen, Glaubenslehren oder Kirchengebäuden? Und wie sollte er uns nicht nahe sein in seiner überfliessenden Liebe und seiner Treue, auch wenn wir ihn nicht fassen können?

 Im Tempelweihegebet des Salomo folgt auf die Einsicht in die Unfassbarkeit Gottes die Bitte: „Wende dich dem Gebet deines Dieners zu und seinem Flehen, HERR, mein Gott, und erhöre das Flehen und das Gebet, das dein Diener heute vor dir betet.“ Und den Jüngern sagt Jesus: „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein.“ Und als Jesus vor ihren Augen in den Himmel entschwunden war und sie immer noch wie gebannt in den Himmel starren, da weisen sie zwei Engel zurecht. Sie sollen nicht in den Himmel starren, sondern hier auf der Erde ihre Aufgabe erfüllen. Mit Gottes Hilfe.

Die ganze Predigt ist hier zu lesen.

Unser Vater

7. September 2010 1 Kommentar

Das Unser Vater – oder Vaterunser, wie es in der lutherischen und katholischen Tradition heisst – ist das wichtigste und bekannteste Gebet der Christenheit. Es geht vermutlich auf Jesus selbst zurück. Während es für viele mit dem Gefühl kirchlicher Heimat verbunden ist und Ausdruck ihres Glaubens, ist es manchen auch durch jahrhundertelangen kirchlichen Gebrauch suspekt geworden. Worte, die mehr aus Gewohnheit gesprochen werden, die sich abgenutzt haben, die vielleicht auch in manchem Widerspruch erregen. Ist die Vateranrede nicht Ausdruck eines patriarchalen Gottesbildes, dem wir heute zu Recht mit Zurückhaltung begegnen? Haben wir nicht mit Reichen unsere schlechten Erfahrungen gemacht? Sind uns nicht Worte wie „erlöse uns von dem Bösen“ eher fremd geworden und das tägliche Brot für uns Mitteleuropäer eine Selbstverständlichkeit (was ja auch hier längst nicht für alle gilt!)?

Die Sehnsucht nach etwas Ursprünglicherem, Tieferem hat mit dazu geführt, dass das sog. aramäische Vaterunser eine beträchtliche Popularität erlangt hat. Aramäisch ist die Sprache Jesu. So erweckt das aramäische Vaterunser für manche den Eindruck des Originalen, Jesuanischen. Aber natürlich ist es nichts anderes als die Rückübersetzung des griechischen Vaterunsers für den Gebrauch durch die aramäisch sprechenden Christen. Mag sein, dass der Klang eines aramäisch gesungenen Unser Vater uns innerlich berühren kann. Ein Beispiel ist das folgende Video http://www.youtube.com/watch?v=MAEIrp4MFBE, das auf You Tube fast 400’000 Mal abgerufen wurde.

Da in unseren Breitengraden kaum jemand Aramäisch beherrscht, gelangten dazu „Übersetzungen“ in Umlauf – die bekanntesten stammen von Neil Douglas Klotz und von Joachim Ernst Berendt – die den Eindruck erwecken, das Unser Vater sei ursprünglich näher an esoterischen Lehren gewesen als an kirchlichen Lehrbildungen oder sei fast schon buddhistischen Texten verwandt. Allerdings sind diese Fassungen sehr freie Übertragungen und keinesfalls wörtliche Übersetzungen. Zwar bin auch ich des Aramäischen nicht mächtig, aber mit Hebräischkenntnissen und einem kurzen Blick ins aramäische Wörterbuch lässt sich leicht feststellen, dass der in unseren Kirchen gebräuchliche Text des Unser Vater wesentlich näher am aramäischen Text ist als diese freien Übertragungen. Und näher am ursprünglichen Gebet Jesu ist das aramäische Unser Vater auch nicht.

Fehlt uns also etwas, weil wir das Original nicht haben? Ich denke nicht, denn dieses Gebet gewinnt seine Bedeutung durch seine Kürze und Tiefe – in welcher Sprache auch immer. Aber es gewinnt diese Bedeutung nur, wenn wir es uns aneignen.

Was ich damit sagen will? Das Unser Vater, so wie wir es kennen, lenkt unseren Blick in aller Kürze und Tiefe auf das (oder den oder die …), was höher ist als alle Vernunft und es lenkt im zweiten Teil unseren Blick auf uns selbst, unsere Mitmenschen, unsere soziale Verantwortung. Mehr Nähe zu Jesus braucht es gar nicht. Aber manchmal ist uns der Blick dafür verstellt, weil uns dieses Gebet zu vertraut ist, weil wir schon erlebt haben, dass es einfach heruntergeleiert wurde oder weil wir vielleicht den Institutionen gegenüber skeptisch sind, zu deren Liturgie dieses Gebet gehört.

Allerdings kann uns die Popularität des aramäischen Unser Vater bei Menschen, die spirituell offen sind, aber keinen Zugang zum kirchlichen Christentum finden, darauf hinweisen, dass wir in unseren Kirchen dieses Suchen ernst nehmen müssen. Es geht nicht darum, kirchliche Lehren und Texte zu verteidigen, sondern danach zu fragen, wo sie unsere Existenz in ihrer Tiefe brühren, zum Leben ermutigen und helfen, mit dem Fragmentarischen und der Verletzlichkeit unseres Lebens zurecht zu kommen. Deshalb wünsche ich mir einen offenen Dialog mit anderen Religionen und den spirituell Suchenden aller Denk- und Glaubensrichtungen. Denn die christliche Tradition verfügt über reiche sprituelle Schätze. Diese zu heben kann aber nicht gelingen, in dem wir andere spirituelle Einsichten bekämpfen, sondern indem wir sie mit ihren Fragen und Antworten wahrnehmen. Es braucht aber auch die intellektuelle Redlichkeit und den kritischen Blick für das, was fragwürdig und irreführend ist. Das gilt für manches, was dem aramäischen Unser Vater unterlegt wird, aber nicht für die Fragen und Sehnsüchte, dei sich damit verbinden.

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Ultreia

25. Juli 2010 2 Kommentare

Ultreia – weiter, so heisst das Lied der Jakobspilger nach Santiago de Compostela. Heute, wie immer, wenn der Jakobstag, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt, war der Internationale Jakobspilgertag. Mit einer kleinen Gruppe waren wir unterwegs von Schwarzenburg nach Tafers, wo Pilger aus der ganzen Schweiz einen ökumenischen Gottesdienst als Abschluss feierten. Eine Teilnehmerin aus unserer Gruppe hatte sich für den heutigen Tag etwas Spezielles ausgedacht: einen mobilen Gebetskiosk – ein aufklappbarer Karton, wo in verschiedenen Fächern kleine Zettel mit Gebeten zu finden waren. Aus diesem Gebetskiosk durfte sich unterwegs jeder bedienen, der wollte, nicht nur aus unserer Gruppe. Wie ich finde, eine wunderbare Idee: Gebete, derer man sich bedienen kann – ohne jeden Zwang, Sprache die wir uns leihen dürfen, als kleine Gesprächshilfen für das Gespräch mit mir selber und mit Gott.

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