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Posts Tagged ‘Gewalt’

Mystik der offenen Augen

3. September 2011 9 Kommentare

Diesen Titel des neuen Buches des katholischen Theologen Johann Baptist Metz finde ich wunderbar. Lesenswert ist auch eine Rezension von Jan-Heiner Tück zu diesem Buch in der Wochenendausgabe der NZZ. Daraus einige bedenkenswerte Aussagen:

„Gegen Formen neuer Religiosität, die eine Art Wellness der Seele anbieten, setzt Metz eine biblisch inspirierte Mystik der Gerechtigkeit. Mystik – das ist für ihn keine meditative Technik der geschlossenen Augen, sondern eine messianische Praxis der Nachfolge, die sich den Blick Jesu für die Armen und Leidenden zu eigen macht. Nicht um aufregende spirituelle Selbsterfahrungen geht es in dieser «Gottesleidenschaft in Mitleidenschaft», sondern um Solidarität mit den Mitmenschen. Den Liebhabern der Zenmeditation hält Metz die unbequeme Frage vor, wie sie es mit dem Einsatz für andere halten. Er mutmasst, dass fernöstliche Spiritualität das fromme Subjekt am Ende in einer subjekt- und geschichtsfernen Alleinheit aufgehen lässt, die für das Antlitz der andern keine Augen mehr hat. (…)

Für seine Mystik der offenen Augen knüpft Metz an die Psalmen, das Buch Hiob, die Klagelieder, aber auch den Verlassenheitsschrei Jesu am Kreuz an; er plädiert dafür, auch heute den Schmerz der Negativität stärker in die Gebetssprache zu integrieren. Der hohe Ton der offiziellen Liturgiesprache müsse durch mehr «Karsamstagssprache» aufgeraut werden, um Erfahrungen der Trauer, der Angst und der Schuld Raum zu geben. In der Tat können Artikulationen von Freude und Dank zur hohlen Phrase verkommen, wenn sie die Wirklichkeit von Leid und Schmerz ausblenden. Indem Metz den Blick auf die Leidenden und Übersehenen lenkt, schärft er das Bewusstsein für das, was fehlt. Sein Einspruch gegen das mitleidlose Vergessen speist sich ausser aus biografischen Erfahrungen aus dem Hunger nach Gerechtigkeit. Darin ist er im besten Sinne biblisch.“

Den Menschen nicht aus dem Blick verlieren

21. April 2011 3 Kommentare

Da stirbt einer wie ein Verbrecher am Kreuz. Schaulustige stehen ringsum und treiben mit dem Geschundenen und Todgeweihten ihren Spott. Der aber vergibt noch im Sterben seinen Peinigern. Er solidarisiert sich mit seinem Leidensgenossen und tröstet ihn. Und am Ende kann er schliesslich loslassen, sein Schicksal in Gottes Hand legen. Es ist eine zutiefst menschliche Szene, die das Lukasevangelium in seiner Passionsgeschichte erzählt. Und diese Menschlichkeit wird noch unterstrichen dadurch, dass der römische Hauptmann, der sich von dieser Szene berühren lässt, über Jesus sagt: „Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen.“ Im Matthäus- und im Markusevangelium heisst es in der selben Szene „dieser ist Gottes Sohn gewesen“.

In meiner Karfreitagspredigt weise ich auf diesen wichtigen Unterschied hin. Sie ist als Dialog einer Frau namens Ruth mit dem Verfasser des Lukasevangeliums angelegt. Dabei lege ich Lukas u.a. Folgendes in den Mund:

„Meine Grundüberzeugung, meine Glaubenseinsicht ist: Wer Gott erkennen will, der darf den Menschen nicht aus dem Blick verlieren. „Sohn Gottes“ aus dem Munde eines römischen Hauptmanns, das lässt mich an den Kaiser denken, der sich ja als Sohn Gottes feiern liess. Manche von uns sind dafür gestorben, dass sie sich an dieser Gotteslästerung nicht beteiligen wollten. Aber wenn wir Gott in Jesus erkennen sollen, dann steht mir das Bild des gekreuzigten Menschen vor Augen, des leidenden Gerechten. Dieser Anblick berührt mich, erfüllt mich selbst mit Mitgefühl und Anteilnahme – am Geschick Jesu, aber auch am Geschick all der Menschen, die leiden müssen, die ein Kreuz zu tragen haben. „Ein frommer Mensch“, das ist sicher nicht alles, was man über Jesus sagen kann, aber wer mit den grossen Worten beginnt, vergisst allzu leicht die kleinen, alltäglichen Dinge. Und unseren Glauben können wir gar nicht anders leben als in der kleinen Münze alltäglicher Anteilnahme, Fürsorge und Liebe.“

Die ganze Predigt ist hier zu lesen.

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Von Menschen und Göttern

17. Dezember 2010 4 Kommentare

Filmtipp: „Des hommes et des dieux“ über französische Zisterziensermönche, die in Algerien ermordet wurden. Eine hervorragende Filmkritik unter http://www.zeit.de/2010/50/Kino-Menschen-Goetter?page=all.

Ein Zitat daraus:

„Für die Mönche ist das mystische Staunen über Gottes Schöpfung gleichursprünglich mit dem Staunen darüber, dass Menschen moralische Wesen sind, die sich mit der Gnade des Bewusstseins für die Wahrheit entscheiden können. Mit anderen Worten: Die introvertierte Spiritualität, der demütige Dank an den Allmächtigen, entlässt im selben Atemzug die extrovertierte Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden. Denn Gott ist die Wahrheit, und die Wahrheit sagt: Alle Menschen sind Gotteskinder. »Du sollst nicht töten«, und wer es dennoch tut, der verfällt den heidnischen Göttern der Gewalt.“

Das Flüstern eines sanften Windhauchs und das Toben der Fanatiker

Im letzten Beitrag habe ich die Geschichte des lebensmüden Elia unter dem Ginsterstrauch erzählt. Was hat aber den Propheten Elia in diese tiefe Krise geführt? Dazu muss ich kurz die Geschichte in Erinnerung rufen, die vorausgeht und auf die sich Kap. 19 bezieht: Isebel, die Königin, hatte den Kult der Baalsgötter in Israel eingeführt und den alten Glauben bekämpft und seine Priester ermordet. Elia stellte sich ihr entgegen und versuchte, das Volk zum Glauben an den Gott der Mütter und Väter zurückzuführen und die Baale nicht anzubeten. Auf dem Berg Karmel, so wird erzählt, kommt es zu einer dramatischen Entscheidung: Elia steht alleine 450 Baalspriestern gegenüber. Zwei Opferaltare werden aufgebaut und es wird vereinbart, dass dessen Gott sich als der wahre erweisen solle, der sich dazu bewegen liesse, das Opfer durch Feuer vom Himmel zu entzünden. Mit Tänzen, Gebeten und martialischen Ritualen rufen die Baalspriester ihre Götter an – aber ohne Erfolg. Elia aber lässt seinen Opferaltar sogar noch mit Wasser übergiessen und auf ein einfaches Gebet hin fängt sein Opfer Feuer. Der Gottesbeweis – so legt es die Geschichte nahe – ist erbracht und Elia – so wird uns erzählt –führt die Baalspriester zu einem Bach und schlachtet sie dort ab. Nun aber trachtet die Königin Isebel dem Elia erst recht nach dem Leben.

Man kann Elia wegen seines Mutes, der ganzen Schar der Baalspriester entgegenzutreten, bewundern. Er begibt sich um seines Glaubens willen in Gefahr, verhaftet und getötet zu werden. Er ist sich seines Glaubens und seines Auftrags so sicher, dass er nicht daran zweifelt, dass sein Gott sich als der Stärkere erweisen würde. Trotzdem hoffe ich sehr, dass wir mindestens ebenso sehr erschrecken über das Blutbad, das er am Ende anrichtet, darüber, wie seine Glaubensgewissheit umschlägt in religiösen Fanatismus und Gewalt. Wir dürfen uns diesem Entsetzen nicht entziehen und nicht vergessen, dass sich auch in der Geschichte unseres christlichen Glaubens eine Spur der Gewalt zeigt, die die Folge von religiösem Eifer und Fanatismus ist.

Ich denke, dass die Bibel – obwohl wir kein ausdrückliches Wort der Kritik an Elia finden – mit unserem Predigttext diesen Fanatismus des Elia in ein kritisches Licht rückt. Ich glaube sogar, dass es gerade dieser vermeintliche Gottesbeweis und der darauf folgende Blutrausch ist, der Elia in die Krise stürzt. Denn welcher Kontrast könnte grösser sein als der eines Gottes, der seine Macht erweist, indem er Feuer vom Himmel herabfallen lässt und es scheinbar gutheisst, dass die Baalspriester abgeschlachtet werden und dem Gott, der Elia seinen Boten sendet und ihn mit Brot und Wasser stärkt, dem Gott, der Elia ausdrücklich nicht im Sturm, nicht im Erdbeben und auch nicht im Feuer begegnet, sondern im Flüstern eines sanften Windhauchs.

Könnte es nicht sein, dass gerade die fanatische Glaubensgewissheit, die auf vermeintlichen Gottesbeweisen aufbaut und allen Unglauben und Irrglauben kompromisslos zu bekämpfen trachtet, hier umschlägt in tiefste Verzweiflung? Und könnte es nicht sein, dass gerade deshalb sich Gott nun Elia ganz anders zeigt? Gerade die Gegenüberstellung der machtvollen Phänomene Sturm, Erdbeben und Feuer zum sanften Flüstern eines Windhauchs zeigt uns eindrücklich, wo wir die Gegenwart Gottes erfahren können und wo nicht. Sie macht auch die Geschichte vom vermeintlichen Gottesbeweis auf dem Karmel zumindest fragwürdig. Und auf jeden Fall setzt sie den Blutrausch des Elia, religiösen Fanatismus und religiöse Gewalt definitiv ins Unrecht. Das Flüstern eines Windhauchs verträgt sich nicht mit Fanatismus, Gewalt, Angstmacherei und Zwang. Ja, vielleicht ist die Geschichte von Elia unter dem Ginsterstrauch und seiner anschliessenden Gottesbegegnung am Horeb eine Bekehrungsgeschichte – die Bekehrung des Elia von religiösem Fanatismus und dem Weg der Gewalt. Ist Karmel sogar der unheilige Berg des religiösen Fanatismus, wo sich die Absolutheitsansprüche in einer fast grotesken Szene austoben und in einem Blutrausch enden, während der Horeb der heilige Berg einer ganz anderen Gotteserfahrung ist, des Flüsterns eines leisen Windhauchs  – einer Erfahrung, die bezwingt indem sie anrührt? Ich jedenfalls kann an dem vermeintlichen Sieg Jahwes auf dem Karmel keine Freude haben. Der Gott, dem ich vertrauen kann, zeigt sich in den leisen Tönen, in der Stille, in der unscheinbaren Begegnung.